Dienstag, 30. August 2011

Die Schweiz - ein Gefängnis

Die Schweiz - ein Gefängnis
Rede von Friedrich Dürrenmatt auf Vaclav Havel zur Verleihung des Gottlieb-Duttweilers-Preises am 22. November 1990
Sehr geehrter Herr Staatspräsident, lieber Vaclav Havel,
An der Protestveranstaltung, die 1968 im Basler Stadttheater gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauerpakts in die Tschechoslowakei stattfand, nahm auch ich teil und schloss meine Ansprache mit den Worten: In der Tschechoslowakei verlor die menschliche Freiheit in ihrem Kampf um eine gerechtere Welt eine Schlacht, doch nicht den Krieg: Der Krieg gegen die Dogmatiker der Gewalt geht weiter, mögen sie nun die Maske des Kommunismus, des Ultrakommunismus oder jene der Demokratie tragen. Wie dieser Kampf im Notfall in einem technisch entwickelten Lande zu führen ist, wo es kein Ausweichen in den Dschungel gibt, zeigt uns das tschechoslowakische Volk, das, um zu überleben, seine Armee nicht einsetzt und nicht Nibelungen spielt und dennoch durch seinen gewaltlosen Widerstand ein Machtsystem erschüttert, tödlicher vielleicht, als wir zu ahnen vermögen.
Mehr als zwanzig Jahre sind seitdem vergangen. In Vietnam verloren die Vereinigten Staaten nicht nur den Krieg, auch die Ehre.
Die Macht der Dogmatiker in Osteuropa ist zusammengebrochen, die waffenstarrenden Militärblöcke beider Seiten sind nutzlos geworden, ihr gegenseitiges Feindbild ist verlorengegangen, die beiden Supermächte werden in steigendem Masse nicht miteinander, sondern mit sich selber konfrontiert, der gewaltlose Widerstand fand in Ihnen, lieber Havel, seinen Repräsentanten, die Tschechosowakei ihren Staatspräsidenten. Sie empfingen hier den Gottlieb-Duttweiler-Preis, den Preis eines Mannes, der in der Schweiz ebenso populär wie umstritten war, der sein Grossunternehmen in eine Genossenschaft umwandelte und eine Partei gründete, die zu den wenigen Parteien zählt, die in der Schweiz noch zur Opposition gezählt werden können, wobei wir freilich vorsichtig sein müssen, gibt es doch hierzulande sogar eine Autopartei, die im Auto das heilige Symbol der Freiheit sieht und sich als Oppositionspartei betrachtet. Sie, lieber Havel, haben den Preis, wie es in der Begründung heisst, dafür erhalten, weil Ihr Name für Zivilcourage, Ehrlichkeit und Toleranz gegenüber anderen Auffassungen steht, für die unerlässliche Grundlage einer freien Entfaltung des Individuums in einem demokratischen Staat. Ein schöner Preis, ein schweizerischer Preis, aber irgendwie unumkehrbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie einem schweizerischen Dienstverweigerer einen Vaclav-Havel-Preis verleihen würden für Zivilcourage, Ehrlichkeit und - nun stutz' ich schon - inwiefern waren Sie dem Regime gegenüber, gegen das Sie protestierten, tolerant? Wohl nur, indem Sie die Möglichkeit, sich ins Ausland abzusetzen, ablehnten und die Strafe auf sich nahmen und ins Gefängnis gingen. Dadurch erreichten Sie den Sturz eines Regimes, während unsere Dienstverweigerer ... - wir Schweizer sind nun einmal ein kriegerisches Volk, das seit fast zweihundert Jahr nie angegriffen wurde, aber sich verteidigen würde, würde es angegriffen, und zum Beweis, dass es sich verteidigen würde, wirft es diejenigen ins Gefängnis, welche die Zivilcourage und die Ehrlichkeit haben zu erklären, sich unter keinen Umständen verteidigen zu wollen, würden sie angegriffen. Eine Milderung findet nur statt, ist nach der Meinung des Militärgerichts eine religiöse Neigung im Spiel, aber ist die Überzeugung gar politisch — wie es Ihre war, lieber Havel —, dann fällt in der Schweiz auf den politischen Dienstverweigerer die ganze Strenge des Gerichts, wie es auf Sie in der Tschechoslowakei fiel. So sind denn unsere Dienstverweigerer die schweizerischen Dissidenten. Sie erreichten bisher nichts. Nun, ich will als Schweizer militärisch nicht auftrumpfen, die Hussitenkriege unter dem blinden Feldherrn Zizka brachten Europa ins Schlottern, zugegeben, aber schon mehr als hundert Jahre bevor Hus in Gottlieben eingekerkert und in Konstanz verbrannt wurde, besiegte der Aargauer Rudolf von Habsburg am 28. August 1278 bei Dürnkrut auf dem Marchfeld mit seinen Schweizern König Ottokar den Zweiten von Böhmen, das 1526 für fast vierhundert Jahre endgültig unter die Herrschaft der Habsburger fiel, der erfolgreichsten Auslandschweizerfamilie, gegen deren Rückkehr ins Heimatland wir uns siegreich gewehrt hatten - man denke nur an Morgarten und Sempach. Leitete der Zusammenbruch der alten Eidgenossenschaft 1798 die Entstehung der neuen Eidgenossenschaft ein, so ging aus dem Ersten Weltkrieg 1918 die moderne Tschechoslowakei hervor. Beide Staaten sind Resultate einer Niederlage. Wir der eigenen, die Tschechoslowakei jener von Österreich-Ungarn. Dann kam Hitler. Im Berner Münster fand ein Dankgottesdienst statt, als die Grossmächte 1938 die Tschechoslowakei im Stich liessen. Diese wehrte sich nicht, das Sudetenland wurde besetzt und wenig später die Tschechei in ein Protektorat und die Slowakei in einen Vasallenstaat verwandelt. Die Frage stellt sich, ob die Schweiz sich in gleicher Lage gewehrt hätte. Die Frage ist unbeantwortbar. Sie kam nie in diese Lage. Sie war für die Tschechen katastrophal, man denke nur an Lidice - sie mussten für Hitler arbeiten, und die Juden wurden vergast. Wir wurden nicht angegriffen, mussten jedoch auch für Hitler arbeiten, und die Juden, die wir an der Grenze zurückwiesen, wurden auch vergast. Nach dem Krieg fiel die Tschechoslowakei Stalin zum Opfer und der Politik seiner Nachfolger, nach der DDR und Ungarn wurde auch in diesem Land der Versuch, den Kommunismus menschlich zu gestalten und zu reformieren, gewaltsam verhindert. Sie, Vaclav Havel, schrieben darüber in Ihrem Essay Ereignis und Totalität: In den fünfziger Jahren gab es in unserem Land riesige Konzentrationslager und darin Zehntausende unschuldiger Menschen. Auf den Baustellen der Jugend drängten sich dabei Zehntausende von Begeisterten des Neuen Glaubens und sangen Aufbaulieder. Es wurde gefoltert und hingerichtet, dramatisch über die Grenze geflohen, konspiriert - und zugleich Feiergedichte auf den Haupt-Diktator geschrieben. Der Präsident der Republik unterschrieb die Todesurteile seiner nächsten Freunde, doch war es eigenartigerweise möglich, ihm hin und wieder auf der Strasse zu begegnen. Der Gesang der Idealisten und Fanatiker, das Toben der politischen Verbrecher und Leiden der Helden gehört seit Menschengedenken zur Geschichte. Die fünfziger Jahre waren zwar eine böse Zeit, doch solche hat es in der Menschheitsgeschichte häufig gegeben. Immer noch konnte man sie diesen Zeiten zuordnen oder zumindest mit ihnen vergleichen; immer noch erinnerten sie irgendwie an Geschichte. Ich würde nicht wagen zu behaupten, in dieser Zeit sei nichts geschehen oder sie habe das Ereignis nicht gekannt. Das grundlegende programmatische Dokument der politischen Macht, die nach der sowjetischen Invasion im Jahre 1968 in der Tschechoslowakei installiert wurde, hiess "Belehrung aus den Krisenjahren". Darin war etwas Symbolisches: Diese Macht hat sich wirklich belehrt. Sie hat gemerkt, wohin es führen kann, wenn der Pluralität der Ansichten und Interessen das Tor auch nur einen Spaltbreit geöffnet wird: zur Bedrohung ihres totalitären Wesens selbst. So belehrt, verzichtete sie auf alles ausser der Erhaltung ihrer selbst: Alle Mechanismen der direkten und indirekten Manipulation des Lebens begannen in einer Art Eigendynamik sich in bisher ungekannte Formen auszuwachsen; nichts durfte mehr dem Zufall überlassen bleiben. Die letzten neunzehn Jahre in der Tschechoslowakei können fast als Schulbeispiel für ein ausgereiftes oder spättotalitäres System dienen: revolutionäres Ethos und Terror wurden abgelöst von dumpfer Unbeweglichkeit, alibistischer Vorsicht, bürokratischer Anonymität und geistlosem Stereotyp, deren einziger Sinn darin besteht, immer vollkommener zu dem zu werden, was sie sind. Der Gesang der Begeisterten und das Klagen der Gefolterten sind verklungen; die Rechtlosigkeit hat sich Seidenhandschuhe angezogen und ist aus den berüchtigten Folterkammern umgezogen in die gepolsterten Büros der Bürokraten. Den Präsidenten der Republik kann man höchstens einmal hinter den Panzerglasscheiben seines Autos erblicken, wenn er, umgeben von einem Polizeikonvoi, zum Flugplatz rast, um Oberst Ghadafi willkommen zu heissen. Das spättotalitäre System stützt sich auf so raffinierte, komplexe und mächtige Manipulationsinstrumente, dass es Mörder und Ermordete nicht nötig hat. Um so weniger benötigt es eifernde Erbauer von Utopien, die mit ihren Träumen von einer besseren Zukunft Unruhe stiften. Der Begriff "real existierender Sozialismus", den sich diese Ära für sich selbst ausgedacht hat, deutet an, für wen darin kein Platz ist: für Träumer. Und wenn Sie, Vaclav Havel, nun als Staatspräsident in Ihrer Neujahrsansprache 1990 auf den Inhalt Ihrer Träume näher eingingen und ausführten: Vielleicht werden Sie fragen, von welcher Republik ich träume. Ich antworte Ihnen: von einer selbständigen, freien, demokratischen, wirtschaftlich prosperierenden und zugleich sozial gerechten Republik, kurz gesagt von einer menschlichen Republik, die dem Menschen dient und deshalb die Hoffnung hat, dass der Mensch auch ihr dienen wird. Von einer Republik allseitig gebildeter Menschen, weil ohne sie keines unserer Probleme gelöst werden kann, sei es menschlich, ökonomisch, ökologisch, sozial oder politisch, so träumen viele Schweizer, dass sie in einer solchen Republik leben, gewissermassen im Traum, den Sie, Vaclav Havel, träumen. Doch die Wirklichkeit, in der die Schweizer träumen, ist anders. Als Dramatiker, lieber Vaclav Havel, haben Sie die Wirklichkeit, in der Sie gelebt haben, bevor der politische Dogmatismus zusammenbrach, in Bühnenstücken dargestellt, die viele Kritiker zum absurden Theater zählen. Für mich sind diese Stücke nicht absurd, nicht sinnlos, sondern tragische Grotesken, ist doch das Groteske der Ausdruck der Paradoxie, der Widersinnigkeit, die entsteht, wenn eine an und für sich vernünftige Idee, wie sie der Kommunismus darstellt - lässt sich eine gerechtere Gesellschaftsordnung denken? -, in die Wirklichkeit verpflanzt wird - auch das Urchristentum war schliesslich kommunistisch, und was ist aus dem Christentum geworden? Durch den Menschen wird alles paradox, verwandelt sich der Sinn in Widersinn, Gerechtigkeit in Ungerechtigkeit, Freiheit in Unfreiheit, weil der Mensch selber ein Paradoxon ist, eine irrationale Rationalität. So lässt sich Ihren tragischen Grotesken auch die Schweiz als Groteske gegenüberstellen: als ein Gefängnis, als ein freilich ziemlich anderes, als es die Gefängnisse waren, in die Sie geworfen wurden, lieber Havel, als ein Gefängnis, wohinein sich die Schweizer geflüchtet haben. Weil alles ausserhalb des Gefängnisses übereinander herfiel und weil sie nur im Gefängnis sicher sind, nicht überfallen zu werden, fühlen sich die Schweizer frei, freier als alle andern Menschen, frei als Gefangene im Gefängnis ihrer Neutralität. Es gibt nur eine Schwierigkeit für dieses Gefängnis, nämlich die, zu beweisen, dass es kein Gefängnis ist, sondern ein Hort der Freiheit, ist doch, von aussen gesehen, ein Gefängnis ein Gefängnis und seine Insassen Gefangene, und wer gefangen ist, ist nicht frei: Als frei gelten für die Aussenwelt nur die Wärter, denn wären diese nicht frei, wären sie ja Gefangene. Um diesen Widerspruch zu lösen, führten die Gefangenen die allgemeine Wärterpflicht ein: Jeder Gefangene beweist, indem er sein eigener Wärter ist, seine Freiheit. Der Schweizer hat damit den dialektischen Vorteil, dass er gleichzeitig frei, Gefangener und Wärter ist. Das Gefängnis braucht keine Mauern, weil seine Gefangenen Wärter sind und sich selber bewachen, und weil die Wärter freie Menschen sind, machen sie auch unter sich und mit der ganzen Welt Geschäfte, und wie! und weil sie wiederum Gefangene sind, können sie nicht der UNO beitreten, und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bereitet ihnen Sorgen. Wer dialektisch lebt, kommt in psychologische Schwierigkeiten. Weil auch die Wärter Gefangene sind, kann unter ihnen der Verdacht aufkommen, sie seien Gefangene und nicht Wärter oder gar frei, weshalb die Gefängnisverwaltung Akten von jedem anlegen liess, von dem sie vermutete, er fühle sich gefangen und nicht frei, und weil sie das bei vielen vermutete, legte sie einen Aktenberg an, der sich, je weiter man forschte, als ein ganzes Aktengebirge erwies, hinter jedem Aktenberg tauchte ein neuer auf. Aber weil das Aktengebirge nur im Fall verwendet werden sollte, wenn das Gefängnis angegriffen würde, und da es nie angegriffen wurde, fühlten sich die Wärter, als sie von den Akten erfuhren, die über sie erstellt worden waren, plötzlich als Gefangene und nicht frei, sie fühlten sich so, wie die Gefängnisverwaltung nicht wollte, dass sie sich fühlten. Um sich aber wieder frei fühlen zu können und als Wärter und nicht gefangen, verlangten die Gefangenen von der Gefängnisverwaltung Aufschluss darüber, wer die Akten angelegt hatte. Aber da das Aktengebirge so gewaltig ist, kam die Gefängnisverwaltung zum Entschluss, dass es sich selber angelegt hat. Wo alle verantwortlich sind, ist niemand verantwortlich. Die Furcht, im Gefängnis nicht sicher zu sein, hat das Aktengebirge hervorgebracht. Die Furcht ist nicht unbegründet. Wer möchte in einem Gefängnis, worin man frei ist, nicht Gefangener sein, und so ist das Gefängnis eine Weltattraktion geworden, viele versuchen Gefangene zu werden, was sie dürfen, wenn sie über die nötigen Mittel verfügen, die Freiheit ist schliesslich etwas Kostbares, während die Unbemittelten womöglich im Gefängnis jene Sicherheit suchen könnten, die nur den freien Gefangenen zusteht, und wieder werden viele zurückgewiesen. Die Gefängnisverwaltung ist nicht zu beneiden. Einerseits gibt es zuwenig Gefangene, um das Gefängnis sauber zu halten, die Luxuszellen, die Korridore, ja um die Gitter zu putzen, so dass von aussen solche ins Gefängnis gelassen werden müssen, die, bloss um Geld zu verdienen, das Gefängnis renovieren, restaurieren, umbauen und in Gang halten, auf die wiederum jene Gefangenen, die zwar auch Geld verdienen, aber sind, wie auf Gefangene hinunterblicken, die nicht frei sind. Andererseits muss jedes Gefängnis etwas bewachen, aber wenn die Gefangenen als Wärter sich selber bewachen, geht der Verdacht um, dass die Wärter noch etwas anderes bewachen als sich selber, weshalb die Meinung immer stärker wird, der eigentliche Sinn des Gefängnisses liege nicht darin, die Freiheit der Gefangenen, sondern das Bankgeheimnis zu bewachen. Wie es auch sei, das Gefängnis prosperiert, und seine Geschäfte sind mit den Geschäften ausserhalb seiner derart verfilzt, dass nach und nach Zweifel aufkommen, ob das Gefängnis überhaupt noch existiert, es ist ein Phantomgefängnis geworden. Um seine und damit ihre Realität zu beweisen, gibt die Gefängnisverwaltung für die Wärter, die ihre eigenen Gefangenen sind, Milliarden von Schweizerfranken für immer modernere Waffen aus, die wieder veralten und wieder neue nötig machen, ohngeachtet der Wahrscheinlichkeit, dass ein Krieg den Untergang dessen bedeuten würde, was sie zu verteidigen sucht. Sie leistet sich die Utopie, die Strategie der Nibelungen gewähre in einer technischer Welt der anwachsenden Katastrophenanfälligkeit eine absolute Sicherheit, statt zur Einsicht zu gelangen, gerade das Gefängnis Schweiz könne sich die Kühnheit leisten, seine Wärter abzuschaffen im Vertrauen darauf, seine Gefangenen seien nicht Gefangene, sondern frei, was freilich bedeuten würde, dass die Schweiz kein Gefängnis mehr wäre, sondern ein Teil Europas, eine seiner Regionen, wie ja überhaupt Europa trotz des Schocks der deutschen Vereinigung in seine Regionen zu zerfallen beginnt. So ist denn das Gefängnis in Verruf geraten. Es zweifelt an sich selber. Die Gefängnisverwaltung, die alles gesetzlich zu regeln versucht, behauptet, das Gefängnis befinde sich in keiner Krise, die Gefangenen seien frei, insofern sie echte gefängnisverwaltungstreue Gefangene seien, während viele Gefangene der Meinung sind, das Gefängnis befinde sich in einer Krise, weil die Gefangenen nicht frei seien, sondern Gefangene, eine interne Gefängnisdiskussion, die nur Verwirrung stiftet, weil die Gefängnisverwaltung sich anschickt, die angebliche Gefängnisgründung vor siebenhundert Jahren zu feiern, wenn auch damals das Gefängnis kein Gefängnis war, sondern ein gefürchtetes Raubnest. Nun wissen wir nicht, was wir feiern sollen, das Gefängnis oder die Freiheit. Feiern wir das Gefängnis, fühlen sich die Gefangenen gefangen, und feiern wir die Freiheit, so wird das Gefängnis überflüssig. Weil wir aber nicht ohne Gefängnis zu leben wagen, werden wir wieder einmal unsere Unabhängigkeit feiern, denn im unabhängigen Gefängnis unserer Neutralität ist es von aussen für niemand auszumachen, ob wir gefangen oder frei sind. Kriege und Okkupationen können überstanden werden, wenn auch unter grossen Opfern, die ich keinem wünsche, aber Ihr Land, und nicht zuletzt Sie, lieber Havel, haben es bewiesen, während wir Schweizer mit einem Widerstand, der nicht geprüft wurde, nichts bewiesen haben und beweisen. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, lieber Havel, das mich befiel, als ich an dieser Rede schrieb, und das mich nun befällt, während ich sie halte. Es ist viel Verlegenheit in diesem Gefühl, denn allzu leicht können Sie nun als Beweis missbraucht werden, dass unsere westliche Welt in Ordnung sei, dass es nichts Grösseres gebe als die Freiheit. Man unterschlägt allzugern, was Sie in Ihrem Essay Versuch, in der Wahrheit zu leben geschrieben haben: Es sieht nicht so aus, als ob die traditionellen parlamentarischen Demokratien ein Rezept zu bieten hätten, wie man sich grundsätzlich der "Eigenbewegung" der technischen Zivilisation, der Industrie- und Konsumgesellschaft widersetzen könnte. Auch sie befinden sich in ihrem Schlepptau und sind ihr gegenüber ratlos. Nur ist die Art, wie sie den Menschen manipulieren, unendlich feiner und raffinierter als die brutale Art des posttotalitären Systems. Aber dieser ganze statische Komplex der erstarrten, konzeptionslosen und politisch nur noch zweckbedingt handelnden politischen Massenparteien, die von professionellen Apparaten beherrscht werden und den Bürger von jeglicher konkreten und persönlichen Verantwortung entbinden, diese ganzen komplizierten Strukturen der versteckt manipulierenden und expansiven Zentren der Kumulation des Kapitals, dieses allgegenwärtige Diktat des Konsums, der Produktion, der Werbung, des Kommerzes, der Konsumkultur, diese ganze Informationsflut - all dies, schon so oft analysiert und beschrieben, kann man wahrhaftig nur schwer als eine Perspektive, als einen Weg betrachten, auf dem der Mensch wieder zu sich selbst findet. Es tut gut, sich diese Sätze über unsere westliche Freiheit genau einzuprägen, um so mehr, als sie aus dem Kerker des dogmatischen realexistierenden Sozialismus kommen. Gewiss, wir rühmen uns unserer direkten Demokratie, gewiss, wir haben die Alters- und Hinterbliebenenversicherung und sogar das Frauenstimmrecht zur Verwunderung der Welt doch noch eingeführt, und privat sind wir versichert gegen Tod, Krankheit, Unfall, Einbruch und Brand: wohl dem, dessen Haus abbrennt. Die Politik hat sich auch bei uns aus der Ideologie in die Wirtschaft verzogen, ihre Fragen sind wirtschaftliche Fragen. Wo darf der Staat eingreifen, wo nicht, wo subventionieren, wo nicht, was besteuern, was nicht? Die Löhne, die Freizeit werden durch Verhandlungen bestimmt. Der Friede droht gefährlicher zu werden als der Krieg. Ein grausamer, aber kein zynischer Satz. Unsere Strassen sind Schlachtfelder, unsere Atmosphäre den Giftgasen ausgesetzt, unsere Ozeane Ölpfützen, unsere Äcker von Pestiziden verseucht, die Dritte Welt geplündert schlimmer noch als einst das Morgenland von den Kreuzrittern, kein Wunder, dass es uns jetzt erpresst. Nicht der Krieg, der Friede ist der Vater aller Dinge, der Krieg entsteht aus dem nicht bewältigten Frieden. Der Friede ist das Problem, das wir zu lösen haben. Der Friede hat die fatale Eigenschaft, dass er den Krieg integriert. Die Antriebskraft der freien Marktwirtschaft ist der Konkurrenzkampf, der Wirtschaftskrieg, der Krieg um Absatzmärkte. Die Menschheit explodiert wie das Weltall, worin wir leben, wir wissen nicht, wie es sein wird, wenn zehn Milliarden Menschen die Erde bewohnen. Die freie Marktwirtschaft funktioniert unter dem Primat der Freiheit, vielleicht wird dann die Planwirtschaft unter dem Primat der Gerechtigkeit funktionieren. Vielleicht kam das Experiment Marxismus zu früh. Was kann der Einzelne tun? Was also nun? fragen auch Sie, Vaclav Havel. Der Einzelne ist ein existentieller Begriff, der Staat, die Institutionen, die Wirtschaftsformen allgemeine Begriffe. Die Politik hat es mit dem Allgemeinen, nicht mit dem Existentiellen zu tun, aber muss sich an den Einzelnen wenden, um wirksam zu werden. Der Mensch ist mehr irrational als rational, seine Emotionen wirken auf ihn stärker als seine Ratio. Das nützt die Politik aus. Nur so ist der Siegeszug der Ideologien in unserem Jahrhundert zu erklären, das Appellieren an die Vernunft ist wirkungslos, besonders wenn eine totalitäre Ideologie die Maske der Vernunft trägt. Der Einzelne muss zwischen dem Menschenunmöglichen und dem Menschenmöglichen unterscheiden. Die Gesellschaft kann nie gerecht, frei, sozial sein, sondern nur gerechter, freier, sozialer werden. Was der Einzelne fordern darf und nicht nur darf, sondern auch muss, ist das, was Sie gefordert haben, Vaclav Havel, die Menschenrechte, das tägliche Brot für jeden, die Gleichheit vor dem Gesetz, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Transparenz, die Abschaffung der Folter usw., all das sind keine Utopien, sondern Selbstverständlichkeiten, Attribute des Menschen, Zeichen seiner Würde, Rechte, die den Einzelnen nicht vergewaltigen, sondern sein Zusammenleben mit den andern Einzelnen ermöglichen, Rechte als Ausdruck der Toleranz, Verkehrsregeln, um es grob zu sagen. Allein die Menschenrechte sind existentielle Rechte, jede ideologische Revolution zielt auf deren Abschaffung und fordert einen neuen Menschen. Wer hat ihn nicht schon gefordert.
Lieber Vaclav Havel, Ihre Aufgabe als Staatspräsident fällt mit der Aufgabe Vaclav Havels als Dissident zusammen. Sehr geehrter Herr Staatspräsident, Sie sind hier unter Schweizern, Schweizer haben Sie begrüsst, der schweizerische Bundespräsident hat Sie empfangen, ein schweizerischer Alt-Bundesrat die Laudatio gehalten, und ich, ein Schweizer, habe auch geredet, denn man redet viel in der Schweiz. Was sind wir Schweizer für Menschen? Vom Schicksal verschont zu werden ist weder Schande noch Ruhm, aber es ist ein Menetekel. Platon erzählt gegen Ende seiner Politeia, dass nach dem Tode die Seele eines jeden das Los zu einem neue Leben wählen müsse: Zufällig aber habe die Seele des Odysseus das allerletzte Los erhalten und sei nun herangetreten, um zu wählen. Da sie aber in Erinnerung an ihre früheren Mühsale allen Ehrgeiz aufgegeben hatte, sei sie lange Zeit herumgegangen und habe das Leben eines zurückgezogenen, geruhsamen Mannes gesucht und gerade noch irgendwo eines gefunden, das die anderen unbeachtet hatten liegenlassen. Und als sie dies entdeckt hatte, habe sie gesagt, sie würde ebenso gehandelt haben, wenn sie das erste Los bekommen hätte, und habe es mit Freude gewählt. Ich bin sicher, Odysseus wählte das Los, ein Schweizer zu sein.
22. November 1990 FD

What is Debt? – An Interview with Economic Anthropologist David Graeber

What is Debt? – An Interview with Economic Anthropologist David Graeber

David Graeber currently holds the position of Reader in Social Anthropology at Goldsmiths University London. Prior to this he was an associate professor of anthropology at Yale University. He is the author of ‘Debt: The First 5,000 Years’ which is available from Amazon.
Interview conducted by Philip Pilkington, a journalist and writer based in Dublin, Ireland.
Philip Pilkington: Let’s begin. Most economists claim that money was invented to replace the barter system. But you’ve found something quite different, am I correct?
David Graeber: Yes there’s a standard story we’re all taught, a ‘once upon a time’ — it’s a fairy tale.
It really deserves no other introduction: according to this theory all transactions were by barter. “Tell you what, I’ll give you twenty chickens for that cow.” Or three arrow-heads for that beaver pelt or what-have-you. This created inconveniences, because maybe your neighbor doesn’t need chickens right now, so you have to invent money.
The story goes back at least to Adam Smith and in its own way it’s the founding myth of economics. Now, I’m an anthropologist and we anthropologists have long known this is a myth simply because if there were places where everyday transactions took the form of: “I’ll give you twenty chickens for that cow,” we’d have found one or two by now. After all people have been looking since 1776, when the Wealth of Nations first came out. But if you think about it for just a second, it’s hardly surprising that we haven’t found anything.
Think about what they’re saying here – basically: that a bunch of Neolithic farmers in a village somewhere, or Native Americans or whatever, will be engaging in transactions only through the spot trade. So, if your neighbor doesn’t have what you want right now, no big deal. Obviously what would really happen, and this is what anthropologists observe when neighbors do engage in something like exchange with each other, if you want your neighbor’s cow, you’d say, “wow, nice cow” and he’d say “you like it? Take it!” – and now you owe him one. Quite often people don’t even engage in exchange at all – if they were real Iroquois or other Native Americans, for example, all such things would probably be allocated by women’s councils.
So the real question is not how does barter generate some sort of medium of exchange, that then becomes money, but rather, how does that broad sense of ‘I owe you one’ turn into a precise system of measurement – that is: money as a unit of account?
By the time the curtain goes up on the historical record in ancient Mesopotamia, around 3200 BC, it’s already happened. There’s an elaborate system of money of account and complex credit systems. (Money as medium of exchange or as a standardized circulating units of gold, silver, bronze or whatever, only comes much later.)
So really, rather than the standard story – first there’s barter, then money, then finally credit comes out of that – if anything its precisely the other way around. Credit and debt comes first, then coinage emerges thousands of years later and then, when you do find “I’ll give you twenty chickens for that cow” type of barter systems, it’s usually when there used to be cash markets, but for some reason – as in Russia, for example, in 1998 – the currency collapses or disappears.
PP: You say that by the time historical records start to be written in the Mesopotamia around 3200 BC a complex financial architecture is already in place. At the same time is society divided into classes of debtors and creditors? If not then when does this occur? And do you see this as the most fundamental class division in human history?
DG: Well historically, there seem to have been two possibilities.
One is what you found in Egypt: a strong centralized state and administration extracting taxes from everyone else. For most of Egyptian history they never developed the habit of lending money at interest. Presumably, they didn’t have to.
Mesopotamia was different because the state emerged unevenly and incompletely. At first there were giant bureaucratic temples, then also palace complexes, but they weren’t exactly governments and they didn’t extract direct taxes – these were considered appropriate only for conquered populations. Rather they were huge industrial complexes with their own land, flocks and factories. This is where money begins as a unit of account; it’s used for allocating resources within these complexes.
Interest-bearing loans, in turn, probably originated in deals between the administrators and merchants who carried, say, the woollen goods produced in temple factories (which in the very earliest period were at least partly charitable enterprises, homes for orphans, refugees or disabled people for instance) and traded them to faraway lands for metal, timber, or lapis lazuli. The first markets form on the fringes of these complexes and appear to operate largely on credit, using the temples’ units of account. But this gave the merchants and temple administrators and other well-off types the opportunity to make consumer loans to farmers, and then, if say the harvest was bad, everybody would start falling into debt-traps.
This was the great social evil of antiquity – families would have to start pawning off their flocks, fields and before long, their wives and children would be taken off into debt peonage. Often people would start abandoning the cities entirely, joining semi-nomadic bands, threatening to come back in force and overturn the existing order entirely. Rulers would regularly conclude the only way to prevent complete social breakdown was to declare a clean slate or ‘washing of the tablets,’ they’d cancel all consumer debt and just start over. In fact, the first recorded word for ‘freedom’ in any human language is the Sumerian amargi, a word for debt-freedom, and by extension freedom more generally, which literally means ‘return to mother,’ since when they declared a clean slate, all the debt peons would get to go home.
PP: You have noted in the book that debt is a moral concept long before it becomes an economic concept. You’ve also noted that it is a very ambivalent moral concept insofar as it can be both positive and negative. Could you please talk about this a little? Which aspect is more prominent?
DG: Well it tends to pivot radically back and forth.
One could tell the history like this: eventually the Egyptian approach (taxes) and Mesopotamian approach (usury) fuse together, people have to borrow to pay their taxes and debt becomes institutionalized.
Taxes are also key to creating the first markets that operate on cash, since coinage seems to be invented or at least widely popularized to pay soldiers – more or less simultaneously in China, India, and the Mediterranean, where governments find the easiest way to provision the troops is to issue them standard-issue bits of gold or silver and then demand everyone else in the kingdom give them one of those coins back again. Thus we find that the language of debt and the language of morality start to merge.
In Sanskrit, Hebrew, Aramaic, ‘debt,’ ‘guilt,’ and ‘sin’ are actually the same word. Much of the language of the great religious movements – reckoning, redemption, karmic accounting and the like – are drawn from the language of ancient finance. But that language is always found wanting and inadequate and twisted around into something completely different. It’s as if the great prophets and religious teachers had no choice but to start with that kind of language because it’s the language that existed at the time, but they only adopted it so as to turn it into its opposite: as a way of saying debts are not sacred, but forgiveness of debt, or the ability to wipe out debt, or to realize that debts aren’t real – these are the acts that are truly sacred.
How did this happen? Well, remember I said that the big question in the origins of money is how a sense of obligation – an ‘I owe you one’ – turns into something that can be precisely quantified? Well, the answer seems to be: when there is a potential for violence. If you give someone a pig and they give you a few chickens back you might think they’re a cheapskate, and mock them, but you’re unlikely to come up with a mathematical formula for exactly how cheap you think they are. If someone pokes out your eye in a fight, or kills your brother, that’s when you start saying, “traditional compensation is exactly twenty-seven heifers of the finest quality and if they’re not of the finest quality, this means war!”
Money, in the sense of exact equivalents, seems to emerge from situations like that, but also, war and plunder, the disposal of loot, slavery. In early Medieval Ireland, for example, slave-girls were the highest denomination of currency. And you could specify the exact value of everything in a typical house even though very few of those items were available for sale anywhere because they were used to pay fines or damages if someone broke them.
But once you understand that taxes and money largely begin with war it becomes easier to see what really happened. After all, every Mafiosi understands this. If you want to take a relation of violent extortion, sheer power, and turn it into something moral, and most of all, make it seem like the victims are to blame, you turn it into a relation of debt. “You owe me, but I’ll cut you a break for now…” Most human beings in history have probably been told this by their debtors. And the crucial thing is: what possible reply can you make but, “wait a minute, who owes what to who here?” And of course for thousands of years, that’s what the victims have said, but the moment you do, you are using the rulers’ language, you’re admitting that debt and morality really are the same thing. That’s the situation the religious thinkers were stuck with, so they started with the language of debt, and then they tried to turn it around and make it into something else.
PP: You’d be forgiven for thinking this was all very Nietzschean. In his ‘On the Genealogy of Morals’ the German philosopher Friedrich Nietzsche famously argued that all morality was founded upon the extraction of debt under the threat of violence. The sense of obligation instilled in the debtor was, for Nietzsche, the origin of civilisation itself. You’ve been studying how morality and debt intertwine in great detail. How does Nietzsche’s argument look after over 100 years? And which do you see as primal: morality or debt?
DG: Well, to be honest, I’ve never been sure if Nietzsche was really serious in that passage or whether the whole argument is a way of annoying his bourgeois audience; a way of pointing out that if you start from existing bourgeois premises about human nature you logically end up in just the place that would make most of that audience most uncomfortable.
In fact, Nietzsche begins his argument from exactly the same place as Adam Smith: human beings are rational. But rational here means calculation, exchange and hence, trucking and bartering; buying and selling is then the first expression of human thought and is prior to any sort of social relations.
But then he reveals exactly why Adam Smith had to pretend that Neolithic villagers would be making transactions through the spot trade. Because if we have no prior moral relations with each other, and morality just emerges from exchange, then ongoing social relations between two people will only exist if the exchange is incomplete – if someone hasn’t paid up.
But in that case, one of the parties is a criminal, a deadbeat and justice would have to begin with the vindictive punishment of such deadbeats. Thus he says all those law codes where it says ‘twenty heifers for a gouged-out eye’ – really, originally, it was the other way around. If you owe someone twenty heifers and don’t pay they gouge out your eye. Morality begins with Shylock’s pound of flesh.
Needless to say there’s zero evidence for any of this – Nietzsche just completely made it up. The question is whether even he believed it. Maybe I’m an optimist, but I prefer to think he didn’t.
Anyway it only makes sense if you assume those premises; that all human interaction is exchange, and therefore, all ongoing relations are debts. This flies in the face of everything we actually know or experience of human life. But once you start thinking that the market is the model for all human behavior, that’s where you end up with.
If however you ditch the whole myth of barter, and start with a community where people do have prior moral relations, and then ask, how do those moral relations come to be framed as ‘debts’ – that is, as something precisely quantified, impersonal, and therefore, transferrable – well, that’s an entirely different question. In that case, yes, you do have to start with the role of violence.
PP: Interesting. Perhaps this is a good place to ask you about how you conceive your work on debt in relation to the great French anthropologist Marcel Mauss’ classic work on gift exchange.
DG: Oh, in my own way I think of myself as working very much in the Maussian tradition. Mauss was one of the first anthropologists to ask: well, all right, if not barter, then what? What do people who don’t use money actually do when things change hands? Anthropologists had documented an endless variety of such economic systems, but hadn’t really worked out common principles. What Mauss noticed was that in almost all of them, everyone pretended as if they were just giving one another gifts and then they fervently denied they expected anything back. But in actual fact everyone understood there were implicit rules and recipients would feel compelled to make some sort of return.
What fascinated Mauss was that this seemed to be universally true, even today. If I take a free-market economist out to dinner he’ll feel like he should return the favor and take me out to dinner later. He might even think that he is something of chump if he doesn’t and this even if his theory tells him he just got something for nothing and should be happy about it. Why is that? What is this force that compels me to want to return a gift?
This is an important argument, and it shows there is always a certain morality underlying what we call economic life. But it strikes me that if you focus too much on just that one aspect of Mauss’ argument you end up reducing everything to exchange again, with the proviso that some people are pretending they aren’t doing that.
Mauss didn’t really think of everything in terms of exchange; this becomes clear if you read his other writings besides ‘The Gift’. Mauss insisted there were lots of different principles at play besides reciprocity in any society – including our own.
For example, take hierarchy. Gifts given to inferiors or superiors don’t have to be repaid at all. If another professor takes our economist out to dinner, sure, he’ll feel that he should reciprocate; but if an eager grad student does, he’ll probably figure just accepting the invitation is favor enough; and if George Soros buys him dinner, then great, he did get something for nothing after all. In explicitly unequal relations, if you give somebody something, far from doing you a favor back, they’re more likely to expect you to do it again.
Or take communistic relations – and I define this, following Mauss actually, as any ones where people interact on the basis of ‘from each according to their abilities to each according to their needs’. In these relations people do not rely on reciprocity, for example, when trying to solve a problem, even inside a capitalist firm. (As I always say, if somebody working for Exxon says, “hand me the screwdriver,” the other guy doesn’t say, “yeah and what do I get for it?”) Communism is in a way the basis of all social relations – in that if the need is great enough (I’m drowning) or the cost small enough (can I have a light?) everyone will be expected to act that way.
Anyway that’s one thing I got from Mauss. There are always going to be lots of different sorts of principles at play simultaneously in any social or economic system – which is why we can never really boil these things down to a science. Economics tries to, but it does it by ignoring everything except exchange.
PP: Let’s move onto economic theory then. Economics has some pretty specific theories about what money is. There’s the mainstream approach that we discussed briefly above; this is the commodity theory of money in which specific commodities come to serve as a medium of exchange to replace crude barter economies. But there’s also alternative theories that are becoming increasingly popular at the moment. One is the Circuitist theory of money in which all money is seen as a debt incurred by some economic agent. The other – which actually integrates the Circuitist approach – is the Chartalist theory of money in which all money is seen as a medium of exchange issued by the Sovereign and backed by the enforcement of tax claims. Maybe you could say something about these theories?
DG: One of my inspirations for ‘Debt: The First 5,000 Years’ was Keith Hart’s essay ‘Two Sides of the Coin’. In that essay Hart points out that not only do different schools of economics have different theories on the nature of money, but there is also reason to believe that both are right. Money has, for most of its history, been a strange hybrid entity that takes on aspects of both commodity (object) and credit (social relation.) What I think I’ve managed to add to that is the historical realization that while money has always been both, it swings back and forth – there are periods where credit is primary, and everyone adopts more or less Chartalist theories of money and others where cash tends to predominate and commodity theories of money instead come to the fore. We tend to forget that in, say, the Middle Ages, from France to China, Chartalism was just common sense: money was just a social convention; in practice, it was whatever the king was willing to accept in taxes.
PP: You say that history swings between periods of commodity money and periods of virtual money. Do you not think that we’ve reached a point in history where due to technological and cultural evolution we may have seen the end of commodity money forever?
DG: Well, the cycles are getting a bit tighter as time goes by. But I think we’ll still have to wait at least 400 years to really find out. It is possible that this era is coming to an end but what I’m more concerned with now is the period of transition.
The last time we saw a broad shift from commodity money to credit money it wasn’t a very pretty sight. To name a few we had the fall of the Roman Empire, the Kali Age in India and the breakdown of the Han dynasty… There was a lot of death, catastrophe and mayhem. The final outcome was in many ways profoundly libratory for the bulk of those who lived through it – chattel slavery, for example, was largely eliminated from the great civilizations. This was a remarkable historical achievement. The decline of cities actually meant most people worked far less. But still, one does rather hope the dislocation won’t be quite so epic in its scale this time around. Especially since the actual means of destruction are so much greater this time around.
PP: Which do you see as playing a more important role in human history: money or debt?
DG: Well, it depends on your definitions. If you define money in the broadest sense, as any unit of account whereby you can say 10 of these are worth 7 of those, then you can’t have debt without money. Debt is just a promise that can be quantified by means of money (and therefore, becomes impersonal, and therefore, transferable.) But if you are asking which has been the more important form of money, credit or coin, then probably I would have to say credit.
PP: Let’s move on to some of the real world problems facing the world today. We know that in many Western countries over the past few years households have been running up enormous debts, from credit card debts to mortgages (the latter of which were one of the root causes of the recent financial crisis). Some economists are saying that economic growth since the Clinton era was essentially run on an unsustainable inflating of household debt. From an historical perspective what do you make of this phenomenon?
DG: From an historical perspective, it’s pretty ominous. One could go further than the Clinton era, actually – a case could be made that we are seeing now is the same crisis we were facing in the 70s; it’s just that we managed to fend it off for 30 or 35 years through all these elaborate credit arrangements (and of course, the super-exploitation of the global South, through the ‘Third World Debt Crisis’.)
As I said Eurasian history, taken in its broadest contours, shifts back and forth between periods dominated by virtual credit money and those dominated by actual coin and bullion. The credit systems of the ancient Near East give way to the great slave-holding empires of the Classical world in Europe, India, and China, which used coinage to pay their troops. In the Middle Ages the empires go and so does the coinage – the gold and silver is mostly locked up in temples and monasteries – and the world reverts to credit. Then after 1492 or so you have the return world empires again; and gold and silver currency together with slavery, for that matter.
What’s been happening since Nixon went off the gold standard in 1971 has just been another turn of the wheel – though of course it never happens the same way twice. However, in one sense, I think we’ve been going about things backwards. In the past, periods dominated by virtual credit money have also been periods where there have been social protections for debtors. Once you recognize that money is just a social construct, a credit, an IOU, then first of all what is to stop people from generating it endlessly? And how do you prevent the poor from falling into debt traps and becoming effectively enslaved to the rich? That’s why you had Mesopotamian clean slates, Biblical Jubilees, Medieval laws against usury in both Christianity and Islam and so on and so forth.
Since antiquity the worst-case scenario that everyone felt would lead to total social breakdown was a major debt crisis; ordinary people would become so indebted to the top one or two percent of the population that they would start selling family members into slavery, or eventually, even themselves.
Well, what happened this time around? Instead of creating some sort of overarching institution to protect debtors, they create these grandiose, world-scale institutions like the IMF or S&P to protect creditors. They essentially declare (in defiance of all traditional economic logic) that no debtor should ever be allowed to default. Needless to say the result is catastrophic. We are experiencing something that to me, at least, looks exactly like what the ancients were most afraid of: a population of debtors skating at the edge of disaster.
And, I might add, if Aristotle were around today, I very much doubt he would think that the distinction between renting yourself or members of your family out to work and selling yourself or members of your family to work was more than a legal nicety. He’d probably conclude that most Americans were, for all intents and purposes, slaves.
PP: You mention that the IMF and S&P are institutions that are mainly geared toward extracting debts for creditors. This seems to have become the case in the European monetary union too. What do you make of the situation in Europe at the moment?
DG: Well, I think this is a prime example of why existing arrangements are clearly untenable. Obviously the ‘whole debt’ cannot be paid. But even when some French banks offered voluntary write-downs for Greece, the others insisted they would treat it as if it were a default anyway. The UK takes the even weirder position that this is true even of debts the government owes to banks that have been nationalized – that is, technically, that they owe to themselves! If that means that disabled pensioners are no longer able to use public transit or youth centers have to be closed down, well that’s simply the ‘reality of the situation,’ as they put it.
These ‘realities’ are being increasingly revealed to simply be ones of power. Clearly any pretence that markets maintain themselves, that debts always have to be honored, went by the boards in 2008. That’s one of the reasons I think you see the beginnings of a reaction in a remarkably similar form to what we saw during the heyday of the ‘Third World debt crisis’ – what got called, rather weirdly, the ‘anti-globalization movement’. This movement called for genuine democracy and actually tried to practice forms of direct, horizontal democracy. In the face of this there was the insidious alliance between financial elites and global bureaucrats (whether the IMF, World Bank, WTO, now EU, or what-have-you).
When thousands of people begin assembling in squares in Greece and Spain calling for real democracy what they are effectively saying is: “Look, in 2008 you let the cat out of the bag. If money really is just a social construct now, a promise, a set of IOUs and even trillions of debts can be made to vanish if sufficiently powerful players demand it then, if democracy is to mean anything, it means that everyone gets to weigh in on the process of how these promises are made and renegotiated.” I find this extraordinarily hopeful.
PP: Broadly speaking how do you see the present debt/financial crisis unravelling? Without asking you to peer into the proverbial crystal-ball – because that’s a silly thing to ask of anyone – how do you see the future unfolding; in the sense of how do you take your bearings right now?
DG: For the long-term future, I’m pretty optimistic. We might have been doing things backwards for the last 40 years, but in terms of 500-year cycles, well, 40 years is nothing. Eventually there will have to be recognition that in a phase of virtual money, safeguards have to be put in place – and not just ones to protect creditors. How many disasters it will take to get there? I can’t say.
But in the meantime there is another question to be asked: once we do these reforms, will the results be something that could even be called ‘capitalism’?

Der Mensch in der Falle: Wilhelm Reich zur Nacht

"Seit Jahrtausenden schon gibt es in der menschlichen Gesellschaft etwas, das buchstäblich jeden Versuch im Sande verlaufen ließ, das große Rätsel zu lösen, das allen großen Führern der Menschheit in den letzten Jahrtausenden wohlbekannt war: Der Mensch ist frei geboren, und doch geht er als Sklave durchs Leben.

[...]

Etwas wohl verborgenes ist am Werk, das es nicht zuläßt, die richtige Frage zu stellen. Dementsprechend ist es etwas, das ständig mit Erfolg die Aufmerksamkeit von dem sorgfältig getarnten Zugang ablenkt, auf den wir unser Augenmerk richten sollen. Das Mittel, dessen sich dieses gut getarnte Etwas bedient, um die Aufmerksamkeit von dem Haupträtsel abzulenken, ist die TENDENZ DES MENSCHEN, den Problemen des lebendigen Lebens AUSZUWEICHEN. Das verborgene Etwas ist die emotionale Pest des Menschen.

[...]

Wohin wir uns auch wenden, wir sehen den Menschen im Kreis umherlaufen, wie in einer Falle, deren Ausgang er in Verzweiflung vergeblich sucht.
Es IST aber möglich, aus einer Falle herauszukommen. Um jedoch aus einem Gefängnis ausbrechen zu können, muß man erst einmal zugeben, daß man in einem Gefängnis sitzt. Die Falle ist die emotionale Struktur des Menschen, seine Charakterstruktur. Es hat wenig Sinn, Denksysteme über das Wesen der Falle zu entwerfen, wenn das einzige, was man zu tun hätte, um aus der Falle herauszukommen, darin besteht, daß man die Falle erkennt und ihren Ausgang findet. Alles andere hat überhaupt keinen Sinn: Hymnen darüber zu singen, wie sehr man in der Falle leidet, wie es der versklavte Neger tut; oder Gedichte über die Schönheit der Freiheit außerhalb der Falle zu schreiben, von der man in der Falle träumt; oder ein Leben außerhalb der Falle nach dem Tode zu versprechen, wie es der Katholizismus seinen Gläubigen verspricht; oder sich zu einem semper ignorabimus zu bekennen, wie es resignierte Philosophen tun; oder ein philosophisches System um die Verzweiflung am Leben in der Falle zu errichten, wie es Schopenhauer getan hat; oder sich einen Übermenschen zu erträumen, der sich von dem Menschen in der Falle total unterscheidet, wie es Nietzsche getan hat, bis er, selbst in der Falle eines Irrenhauses gefangen, endlich die volle Wahrheit über sich selber schrieb - zu spät...
Allererste Aufgabe ist es, den Ausgang aus der Falle zu finden. Wie die Falle beschaffen ist, interessiert überhaupt nicht, abgesehen von dieser einen entscheidenden Frage: WO IST DER AUSGANG AUS DER FALLE?
Man kann eine Falle ausschmücken, um das Leben darin angenehmer zu gestalten. Das haben z.B. Michelangelo, Shakespeare und Goethe getan. Man kann sich irgendwelche Hilfsmittel ausdenken, um das Leben in der Falle zu verlängern. Das haben die großen Naturwissenschaftler und Ärzte getan, z.B. Meyer, Pasteur und Flemming. Man kann auch eine große Kunstfertigkeit im Heilen von gebrochenen Knochen entwickeln, für die, die in der Falle stürzen.
Doch der entscheidende Punkt ist und bleibt: den Ausgang aus der Falle zu finden. WO IST DER AUSGANG IN DEN FREIEN, ENDLOSEN RAUM?
Der Ausgang bleibt verborgen. Das ist das größte aller Rätsel. Das Lachhafteste und zugleich Tragischste aber ist dies: DER AUSGANG IST FÜR ALLE IN DER FALLE DEUTLICH SICHTBAR, UND DENNOCH SCHEINT NIEMAND IHN ZU SEHEN. JEDERMANN WEISS, WO DER AUSGANG IST, UND DENNOCH SCHEINT NIEMAND AUF IHN ZUZUGEHEN. MEHR NOCH: WER IMMER AUCH AUF DEN AUSGANG ZUGEHT ODER AUF IHN ZEIGT, WIRD FÜR VERRÜCKT ERKLÄRT, ODER MAN NENNT IHN EINEN VERBRECHER ODER EINEN SÜNDER, DER IN DER HÖLLE BRATEN SOLLTE.
Es zeigt sich, daß das Problem nicht die Falle ist, und auch nicht die Schwierigkeit, den Ausgang zu finden. Das Problem liegt BEI DENEN, DIE IN DER FALLE SITZEN.
All dies ist - von außen gesehen - für ein schlichtes Gemüt schier unverständlich. Es ist sogar irgendwie verrückt. Warum erkennen sie den deutlich sichtbaren Ausgang nicht und gehen zu ihm hin? Sobald sie in die Nähe des Ausgangs kommen, fangen sie an zu schreien und laufen weg. Sobald einer unter ihnen versucht, ins Freie zu gelangen, schlagen sie ihn tot. Nur ganz wenige schlüpfen in dunkler Nacht, wenn alles schläft, aus der Falle heraus.

[...]

Das GRUNDSÄTZLICHE AUSWEICHEN VOR DEM WESENTLICHEN ist DAS Problem des Menschen. Dieses Ausweichen bzw. diese Tendenz, immer auszuweichen, ist Teil der Tiefenstruktur des Menschen. Das Weglaufen vom Ausgang der Falle ist eine Folge dieser Struktur. Der Mensch fürchtet und haßt den Ausgang der Falle. Grausam bekämpft er jeden Versuch, den Ausgang zu finden. Das ist das große Rätsel.
Das alles klingt sicher verrückt für die, die in der Falle sitzen. Es würde für den, der so verrückte Dinge sagt, den sicheren Tod bedeuten, wenn er mit ihnen zusammen in der Falle säße: wenn er Mitglied einer wissenschaftlichen Akademie wäre, die viel Zeit und Geld dafür verwendet, die Wände der Falle in allen Einzelheiten zu studieren; oder wenn er einer Kirchengemeinde angehörte, die voller Resignation oder Hoffnung darum betet, aus der Falle hinauszugelangen; wenn er der Ernährer einer Familie wäre, deren einzige Sorge ist, nicht in der Falle zu verhungern; oder wenn er Angestellter eines Industriekonzerns wäre, der sich bemüht, das Leben in der Falle so angenehm wie möglich zu machen. Es würde für ihn der Tod in dieser oder jener Form bedeuten: Man würde ihn ächten, wegen Verletzung irgendeines Gesetzes ins Gefängnis werfen oder bei entsprechenden Voraussetzungen auf den elektrischen Stuhl bringen. Verbrecher sind Menschen, die den Ausgang aus der Falle finden und darauf zustürzen, wobei sie gegen ihre Mitmenschen Gewalt anwenden. Geisteskranke, die in Anstalten dahinsiechen und wie die Hexen im Mittelalter gequält werden, indem man sie z.B. unter Elektroschocks zusammenkrampfen läßt, sind ebenfalls Menschen in der Falle, die den Ausgang gesehen haben, aber das Grauen nicht überwinden konnten, das sie erfaßt hat, als sie sich ihm genähert haben.
Außerhalb der Falle, ganz in nächster Nähe, existiert das lebendige Leben um einen herum in allen Dingen, die das Auge sehen, die das Ohr hören und die die Nase riechen kann. Für die Opfer in der Falle bedeutet das ewige Qualen, ähnlich denen des Tantalus. Sie sehen es, sie fühlen es, sie riechen es, und sie sehnen sich unablässig danach, aber sie können nie und nimmer durch den Ausgang der Falle hinaus. Es ist einfach unmöglich geworden, aus der Falle hinauszukommen. Sie erleben es in Träumen und bei Gedichten, beim Anhören großer Musik oder beim Betrachten von Gemälden, aber es ist nicht mehr in ihnen selbst, in ihrer eigenen Motilität. Die Schlüssel zum Ausgang sind in den eigenen Charakterpanzer und die mechanische Steifheit ihrer Körper und Seelen einbetoniert.
Dies ist die große Tragödie. [...] Wer zu lange in einem dunklen Keller gelebt hat, haßt die Sonne. Es kommt sogar vor, daß das Auge das Licht nicht mehr ertragen kann; so entsteht der Haß auf das Sonnenlicht.
Um ihre Nachkommen an das Leben in der Falle zu gewöhnen, haben die Falleninsassen ausgefeilte Techniken entwickelt, das Leben straff auf einem niedrigen Niveau in Gang zu halten. Für große Gedankenflüge oder außergewöhnliche Taten ist kein Raum in der Falle. Jede Bewegung ist nach allen Seiten hin gehemmt. Das hat im Laufe der Zeit dazu geführt, daß gerade die Organe des lebendigen Lebens verkümmerten. Die Menschen in der Falle haben jedes echte, volle Lebensgefühl verloren.
Geblieben ist jedoch eine tiefe Sehnsucht nach Lebensglück und die Erinnerung an ein glückliches, längst vergangenes Leben vor dem Zuschnappen der Falle. Aber Sehnsucht und Erinnerung können im wirklichen Leben nicht gelebt werden. Aus solcher Einengung und Verklemmung ist daher Haß gegen das Leben entstanden." [Hervorhebungen vom Verfasser, Christusmord, Ullstein, S. 29 ff.]

RogRog


Ja, die Herrschaft bestimmt, welche Lebenslügen gelehrt und gepaukt werden in den „Schlachthäusern und Garküchen des Geistes“, wo „große Gedanken lebendig gesotten und klein gekocht“ werden.

Nietzsche und alle Philosophen vor ihm konnten noch nichts wissen vom richtigen Menschen, denn sie kannten nur den Bürger, den unterworfenen Knecht in seiner tributleistenden, monogamen Paarungsfamilie, und deshalb zogen sie auch vereinzelt falsche Schlüsse. Die heutigen Philosophen und Soziologen könnten es aber wissen, wenn sie nicht ausdrücklich und devoterweise nicht wissen oder verkünden wollten, was wahr ist. Aber diejenigen, die es wissen wollen (Sofsky beispielsweise), werden, wie Reich schreibt, für verrückt erklärt und/oder bekämpft, sowohl von den Gefangenen als auch von den Wärtern, die selbst Gefangene sind, ohne es zu ahnen, die Schergen der Herrschaft in den öffentlichen Lehranstalten, den „Schlachthäusern und Garküchen des Geistes“.

 Zarathustra, 17.07.2011, 16:53

Die Falle ist nach Reich die charakterliche, muskuläre und/oder plasmatische Panzerung des Menschen, also die chronisch erstarrte Reaktionsweise des Organismus, die er sich im Laufe seines Lebens (vom Beginn im mütterlichen Organismus an) durch traumatische Erlebnisse, Erziehung etc. angeeignet hat. Das ungepanzerte Leben pulsiert dagegen (Herz, Lunge, Blase, Magen-Darm-Trakt, vegetatives Nervensystem, Zellen, Wachstum/Schrumpfung, Orgasmus). Die Pulsation (Expansion, Kontraktion) ist für jeden deutlich sichtbar.

Wenn man sich anguckt, wie die Reaktionen auf Reich ausgefallen sind (Hetzkampagnen etc. bis zum heutigen Tag, neuestes Beispiel: Christopher Turner - Adventures in the Orgasmatron), dann erkennt man ohne großes Studium, was er mit dem obigen Satz meint. Es reicht seine wissenschaftliche Autobiographie von 1942 "Die Funktion des Orgasmus" zu lesen und das mit dem zu vergleichen, was über ihn geschrieben wird/wurde, um sich zu überzeugen, dass es eine Tendenz in der Gesellschaft gibt das ungepanzerte Leben zu hassen.

Das nicht-gepanzerte Leben funktioniert nach bestimmten Naturgesetzen und reguliert sich selbst. Diese Selbstregulierung geht Hand in Hand mit Verantwortungsfähigkeit. Die Panzerung führt zu sekundären Emotionen, die zwangsmoralische Regulierung erfordern. Darauf beruht die Herrschaft.

Und nun zum Allerwichtigsten: Die Panzerung funktioniert automatisch! Das autonome Nervensystem zeichnet sich dadurch aus, dass es unabhängig vom Willen funktioniert. Man kann die Panzerung nicht mal eben durch intellektuelles Verständnis abstreifen. Wenn Du iwann mal mit Deiner Frau/Freundin Streit hattest und es kam zu dem Punkt: "So bin ich eben. Das ist mein Charakter, dagegen kann ich nichts machen", dann verstehst Du schon ein bisschen, was (charakterliche) Panzerung ist.


RogRog, 28.08.2011, 14:38


.. nämlich die Empirie und die Anthropologie, bzw. einfach nicht genug darüber wusste, wissen konnte damals? Der Mensch vegetiert ja erst seit 500 Generationen in der Falle, während er mindestens 200 mal länger, während 100'000 Generationen ohne diese Falle lebte. Ist es deshalb nicht eher eine grundsätzlich systemische Frage, wie es Graeber aufzeigt?
Mir erscheint es jedenfalls unlogisch, die Individuen innerhalb eines Herrschaftssystems aus der Falle herausbekommen zu können. Das muss doch auf ewig vergebliche Liebesmüh sein, wenn wir nicht das unfamiliäre, anonyme System der Herrschaft und Unterwerfung beseitigen.

Grüsse,  Zarathustra



das hast Du mich ja schonmal gefragt und ich hatte Dir geantwortet, dass ich für Spekulationen über die Urgeschichte nicht zugänglich bin. Malinowski hat die Trobriander beschrieben, die eine matriarchale Gemeinschaft im Übergang war und für deren Mitglieder mehrheitlich die sexuelle Freiheit galt. Malinowski, als Psychoanalytiker, fand in dieser Gemeinschaft keine Neurosen. Von dieser und vllt noch anderen Einzelbeispielen, also aus einer Summe von Fällen auf die Gesamtheit, eine ganze Kulturepoche oder sogar die ganze Urzeit zu schließen, halte ich für spekulativ.

> Mir erscheint es jedenfalls unlogisch, die Individuen innerhalb eines
> Herrschaftssystems aus der Falle herausbekommen zu können.

Reich findet das auch ziemlich sinnlos. Deshalb hat er seinen Fokus iwann auf die Erforschung der Entwicklung des gesunden Kindes gelegt, also was für Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sich in Heranwachsenden keine Panzerung entwickelt. Seine Lösung war nicht Therapie, sondern Prophylaxe.

> Das muss doch
> auf ewig vergebliche Liebesmüh sein, wenn wir nicht das unfamiliäre,
> anonyme System der Herrschaft und Unterwerfung beseitigen.

Von heute auf morgen geht aufgrund der Verantwortungsunfähigkeit sowieso nichts. Reich hält nicht viel von Revolutionen. Das unfamiliäre, anonyme System der Herrschaft beseitigen und die Menschen auffordern sich selbst zu verwalten, würde ungefähr so viel bringen, wie Querschnittsgelähmten den Rollstuhl wegnehmen und sie zum Gehen auffordern. Das Projekt "Die Kinder der Zukunft" war ein evolutionäres.



RogRog



Emotionen werden hier - wie das üblich ist - als Gegensatz zum Verstand, als irrational beschrieben. Spätestens hier hätte Reich dem Dürrenmatt widersprochen. Reich unterscheidet primäre von sekundären Emotionen. Primäre sind rational, sekundäre irrational und entstehen durch die Unterdrückung ersterer. Die fünf primären Emotionen sind: Lust, Angst, Wut, Trauer und Sehnsucht. Dem gepanzerten Menschen sind Emotionen (=Herausbewegung) zuwider, zu beweglich, zu laut, zu triebhaft, zu lebendig. Er hasst das Leben.

Kinder leben diese primären Emotionen noch ungehemmt aus, wenn die pränatale und postnatale Entwicklung nicht allzu traumatisch verlaufen ist (spastischer Mutterleib, spastische Mutterbrust, Kontaktlosigkeit ua). In aller Regel entwickeln sich hier jedoch schon die ersten psychosomatischen Panzerungen. Eltern sind größtenteils vollkommen hilflos gegenüber dem Erkennen der Bedürfnisse des Kindes, solange es noch nicht sprechen kann.

Und schon setzt die Erziehung ein und ich weiß in etwa, wie das heutzutage abläuft, da ich seit zwei Jahren Onkel bin. Natürlich von den "besten" Ärzten beraten, gibt es nach einem bestimmten Zeitplan zu "essen" (Brust). Zu bestimmten Zeiten wird geschlafen, es muss früh gelernt werden mit Besteck zu essen, es muss dies, es muss das. "Nein, Emi!" "Ja, Emi!" "Gut, Emi." Dressur. Es wird hinter dem Kind hinterhergelaufen, da man Angst hat es würde ihr iwas zustoßen. Innerlich komme ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus, habe aber auch wegen einer schwierigen Familiensituation keine Einflussmöglichkeit.

Ist es da verwunderlich, wenn das Kind iwann stur und brav folgen wird, wo immer man hingeht?

Das Tragische an der Sache ist, dass Kinder mit der Zeit lernen ihre primären, rationalen Emotionen zu kontrollieren. Wut kann man zB runterschlucken, in dem man auf eine ganz bestimmte Art und Weise atmet und sich muskulär verkrampft. Wird diese Haltung chronisch, spricht Reich von einem Panzer. Chronisch heißt, dass man selbst nicht mehr dazu in der Lage ist den Panzer zu lösen, selbst wenn man sich der Sache mit seinem messerscharfen Ratio-Verstand bewusst ist. Es ist ein Verlust an Beweglichkeit. Wenn es angebracht wäre, kann dieser Mensch nicht mehr wütend werden. Seine Reaktion wäre der Situation entsprechend also vollkommen irrational! Freiheitsunfähigkeit.




"Charakterpanzerung. Die Gesamtheit typischer Charaktereinstellungen, die ein Individuum zur Abwehr seiner emotionalen Erregungen entwickelt und zur Verkrampfung des Körpers, zum Ausfall des emotionalen Kontakts, zur Erstarrung führen. Funktional identisch mit der muskulären Panzerung."

"Die Verkrampfung der Muskulatur ist die körperliche Seite des Verdrängungsvorganges und die Grundlage seiner dauernden Erhaltung. Es sind nie einzelne Muskeln, die in Spannung geraten, sondern Muskelkomplexe, die zu einer vegetativen Funktionseinheit gehören. Wenn z.B. ein Weinimpuls unterdrückt werden soll, so wird nicht etwa nur die Unterlippe verkrampft, sondern auch die gesamte Mund- und Kiefermuskulatur sowie die entsprechende Halsmuskulatur; diejenigen Organe also, die als funktionelle Einheit beim Weinen in Tätigkeit kommen. Wir denken dabei an die bekannte Erscheinung, daß hysterische Personen ihre Körpersymptome nicht nach anatomischen, sondern nach funktionellen Gebieten abgrenzen. Ein hysterisches Erröten folgt nicht der Verzweigung einer bestimmten Arterie, sondern erfaßt etwa ausschließlich den Hals oder die Stirn. Die vegetative Körperfunktion kennt nicht die anatomischen Abgrenzungen, die wir künstlich durchführen."

Der Panzer des neurotischen Charakters ist chronisch und autonom (es liegt also nicht in Deiner Hand ihn zu lösen, wie Du in einem anderen Post da vor Dich hin phantasierst), der des genitalen Charakters nicht. Steht übrigens auch schon in dem verlinkten Post von mir.

Aha, Yoga! Gutes Stichwort:

"Unsere Kinder besorgen die >Absperrung der Gefühle im Bauch< mit Hilfe der Atmung und der Bauchpresse in typischer, allgemeingültiger Weise. Mit dieser Technik der Affektbeherrschung, der universellen Joga-Kulturen, hat die Vegetotherapie schwer zu ringen."

"Man warf mir vor, daß ich der Utopie anhinge, die Unlust aus der Welt schaffen und einzig die Lust sichern zu wollen. Dagegen stand meine Behauptung in Schrift und Wort, daß die übliche Erziehung den Menschen lustunfähig macht, indem sie ihn gegen die Unlust panzert. Lust und Lebensfreude sind ohne Kampf, schmerzhafte Erfahrungen und unlustvollen Kampf mit sich selbst undenkbar. Nicht die Leidlosigkeitstheorie der Yogi und der Buddhisten, nicht die Genußphilosophie des Epikur*, nicht die Entsagung des Mönchtums, sondern der Wechsel von unlustvollem Kampf und Glück, von Irrtum und Wahrheit, Fehltritt und Besinnung, rationalem Haß und rationaler Liebe, kurz, die volle Lebendigkeit in allen Lebenssituationen ist das Kennzeichen seelischer Gesundheit. Die Fähigkeit, Unlust und Schmerz zu ertragen, ohne enttäuscht in die Erstarrung zu flüchten, geht einher mit der Fähigkeit, Glück zu nehmen und Liebe zu geben. Um mit Nietzsche zu reden: Wer das >Himmel-hoch-Jauchzen< lernen will, muß sich auf für das >Zum-Tode-betrübt< bereit halten. Unsere europäische gesellschaftliche Anschauung und Erziehung machte aber aus den Jugendlichen, je nach sozialer Lage, entweder in Watte gepackte Püppchen oder ausgedörrte, lustunfähige, chronisch unlustige Maschinen der Industrie und des >Geschäfts<.

*Dieser Begriff wird hier im Sinne der Umgangssprache verwandt. In Wirklichkeit haben Epikur und seine Schule außer dem Namen nichts gemein mit der sogenannten >Epukreischen Lebensphilosophie<. Die ernste Naturphilosophie Epikurs wurde von den halbgebildeten und ungebildeten Menschenmassen in einer bestimmten Weise interpretiert: Sie wurde als Befriedigung sekundärer Triebe verstanden. Es gibt keine Mittel, sich gegen eine solche Verfälschung richtiger Gedanken zu verteidigen. Die Sexualökonomie ist von dem gleichen Schicksal bedroht [68er-Bewegung!] durch jene menschlichen Wesen, die unter Lustangst und einer Wissenschaft leiden, die sich vor der Sexualität fürchten."

"Der komplizierte Bau des seelischen Apparats gestattete, meinte er [Freud] weiter, eine Reihe von Beeinflussungen. Wie Triebbefriedigung Glück sei, so werde sie Ursache schweren Leidens, wenn die Außenwelt uns darben läßt und die Sättigung der Bedürfnisse verweigert. Man könnte also hoffen, durch Einwirkung auf die Triebregungen (nicht also auf die Welt, die darben läßt!) von einem Teil des Leidens frei zu werden. Diese Beeinflussung suchte der inneren Quellen der Bedürfnisse Herr zu werden. In extremster Weise geschähe dies, indem man die Triebe ertötet, wie die orientalische Lebensweisheit lehrt und die Yogapraxis ausführt."

"Sein [es ist die Rede vom gepanzerten Menschen] Haß richtet sich vor allem, es wäre nicht übertrieben zu sagen: einzig und allein, gegen alle echten und vollen Äußerungen des Lebendigen, gegen das Unwillkürliche, Hingebene, Enthusiastische, Schwingende, Tolle und Törichte im Leben. Er richtet sich vor allem gegen das Unwillkürliche und Freie im körperlichen Bereiche. In seiner destruktiven Haltung gegen das Lebendige ist der gepanzerte Organismus ohne Rücksicht. Hier verlieren sich die Eigenschaften, die er sonst zum Ideal des menschlichen Verhaltens erhoben hat. Unter der Maske idealen oder hygienischen Verhaltens versteht es der gepanzerte Organismus, jede spontane Lebensregung in sich selbst und in anderen Organismen zu ertöten. Man lese die folgende Anweisung, die sich 1945 in einer vielgelesenen New Yorker Zeitung fand, aufmerksam durch. Der Ratgeber hat die Bedeutung der Atmung erkannt. Er weiß über die Schädlichkeit schlechten Atmens Bescheid. Er will korrigieren, helfen. Doch welch ein Reglement von "Soll" und "Soll nicht" entrollt sich da!

Atemübungen

Die Wirkungen von Atemübungen sind so zahlreich wie wohltuend. Das Blut wird gereinigt, das Aussehen verbessert, und eine richtige Nahrungsaufnahme wird erleichtert, wenn wir richtig atmen.
Es gibt einige wertvolle Übungen, die die Körperhaltung verbessern, die Gesundheit der inneren Organe und richtiges Atmen fördern. Vielleicht möchten Sie diese in Ihren Tagesablauf integrieren.
Nr. 1:
Mit dem Rücken auf den Boden legen. Die rechte Hand aufs Zwerchfell legen. Langsam und tief einatmen. Während des Einatmens sollten sich Zwerchfell und Bauchwand zur Decke hin hochbewegen. Während des Ausatmens sollte die Fläche unter der Hand in die normale Position zurückkehren. Anschließend Bauchmuskeln anspannen und so lassen, und gleichzeitig den Rücken auf den Boden pressen und diesen soweit wie möglich mit dem Boden berühren.
Nr. 2:
In dieser Position bleiben. Tief einatmen und die Füße flach auf den Boden stellen. Das Einatmen beim Zwerchfell beginnen, so daß man eine seitliche Ausdehnung der Rippen spürt. Auf keinen Fall den oberen Brustkorb heben. Ausatmen durch einziehen und aufrichten der Bauchmuskeln, aber ohne daß dabei die Rippen einsinken. Nochmal ein- und ausatmen. Nun mehrmals hintereinander kurz einatmen. Ausatmen in mehreren kleinen, schnellen Atemstößen durch Zusammenziehen der Bauchmuskeln. Durch völliges Ausatmen und Einsinken des Brustkorbes die Übung abschließen.


Dieser Ratgeber empfielt genau das, was unser gepanzerter Kranker in biopathischer Weise zu tun versucht, wenn wir ihn auffordern, den Atem nicht anzuhalten. Er "tut", "übt", "demonstriert", "agiert" und "führt Atmung vor". Aber er atmet nicht entsprechend der natürlichen Innervation. Wir können dieses Beispiel beliebig auf alle Lebensäußerungen des gepanzerten Organismus übertragen. Ihr Wesen ist immer und bleibt stets die Vermeidung und Verhinderung der spontanen unwillkürlichen Lebensäußerungen. Der Gepanzerte mag in allen anderen Lebenslagen tolerant, ja liebreizend, freundlich und hilfsbereit sein. Er ist nur konsequent und rabiat, wenn er Lebendiges panzerfrei funktionieren sieht." [Fett von mir]

RogRog



Freitag, 26. August 2011

Kerrygold Werbung

Kerrygold Werbung 2009

Warum hat Kerrygold Butter eine so natürliche goldene Farbe?
Ganz einfach: Das unvergleichliche Klima Irlands sorgt dafür, dass die Milch für Kerrygold Butter das ganze Jahr über nur von Kühen stammt, die auf der Weide grasen. Aus 100% Weidemilch. Garantiert!
Deshalb ist Kerrygold Butter von Natur aus streichzart, besonders aromatisch und natürlich goldgelb.

Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen


"Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" (Deutsches Sprichwort)

"Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen" (Wittgenstein)

"Ich weiß, dass ich nichts weiß" (Aristoteles)

"Das Nichts nichtet das Nichts" (Heidegger)

Mittwoch, 24. August 2011

Giorgio Maone von NoScript

Lernen Sie den Entwickler von NoScript kennen
Entwickler-Information Name Giorgio Maone
Ort Palermo
Beruf Dad, Software Developer
Homepage http://maone.net/
Benutzer seit March 5, 2007
Anzahl von Add-ons 2 Add-ons

Samstag, 20. August 2011

Optimismus, Hoffnung: ist der Pessimist der bessere Optimist?

Und wie verträgt sich Optimismus mit dem Debitismus? Der Debitismus zeigt die (Wirtschafts-)Welt als ein Schneeballsystem. Ich glaube, das ganze biologische Leben beruht auf ähnlichen Prinzipien wie ein Schneeballsystem. Jeder Organismus ist aufs Raffen angewiesen, um seiner Urschuld nachzukommen, die er nie tilgen kann, und sobald er nicht mehr nachkommt, geht er zugrunde. That's life. Stabilität gibt es nicht, die Krise ist der Normalfall. Hierauf kann man nur mit Pragmatismus und Menschlichkeit reagieren. Irgendeinem "System" die Schuld an Krisen zu geben oder irgendwelchen Interessengruppen oder Verschwörungen, ist idiotisch. Genausogut könnte ich versuchen, irgendjemanden dafür verantwortlich zu machen, dass ich sterblich bin. Das bringt mich nicht weiter. Ich möchte dem Leben die guten Seiten abgewinnen und das Beste draus machen. Jammern kann ich immer noch, wenn ich tot bin.

Schönen Tach noch
NBK aka NaturalBornKieler



"The sad fact is we don't want to go where history wants to take us: to a smaller human imprint on the planet, with all that implies. This is true especially of the intellectual avant-garde, who can't imagine a world without the joys of perpetual techno-narcissistic novelty, of levitating skyscraper cities with hanging gardens and flying cars, full of girls with green nail-polish in get-ups so fantastic mere mortals could never have dreamed them up, flaunting hand-held gadgets so miraculous that life itself seems besides the point. Oh, shimmering future! Oh Ray Kurzweil and your nano-ladder to the worm-holes of forever"


http://kunstler.com/blog/2011/06/a-distant-sound-of-churning-1.html



The task we face is reorganizing the systems we depend on for daily life in a way that is consistent with the realities coming down at us. We have to grow our food differently because industrial farming will soon end. That means growing more food locally on smaller farms with more human attention. We have to do commerce differently because the WalMart system of big box chain retail will soon die. This means rebuilding local main street economies (networks of local economic interdependency). We have to make some things for ourselves because the conveyer belt from China is doomed (this process is known as import replacement). We have to do transportation differently, because mass motoring and even commercial aviation will soon be over. We have to inhabit the landscape differently because both suburbia and the metroplex mega-city will be obsolete, so we will have to return to a more traditional disposition of things in smaller urbanisms associated with productive agricultural h!
interlands. Now, it’s arguable how much you can legislate or even autocratically direct these changes. But you can prepare for them, both psychologically and practically. And we are doing nothing. For instance, we’re still promoting stupid wasteful behavior in agribusiness—everything from ethanol production for cars to genetically modified crops. In commerce just about everything we do politically is in the service of WalMart and the systems tied to it. In transportation, we could, for instance, have compelled General Motors to produce railroad rolling stock as a condition of their bail-out, but we didn’t do that. Instead, we’re chasing the phantom of electric cars—and, believe me, we are going to be mortally disappointed how that works out. Most likely the changes that I’m outlining will happen emergently, with a great deal of “noise,” conflict, and suffering. In the meantime, government at all levels in the USA right now is engaged in a quixotic campai!
gn to sustain the unsustainable. We’re determined to run Wal!
Mart, Disney World, the Interstate Highways, suburbia, and an imperial military by other means than oil. We’ll squander a lot of dwindling resources in the process.

To put a finer point on it, industrialism (and all its digital offshoots) may not be a permanent feature of the human condition, but an anomalous congruence of some historical events that had a beginning, a middle, and an end.
I happen to think we're at the end of this anomalous era because we've run through the material resource base. I know a lot of people eagerly await the nano-dawn of self-replicating bot Satori, where everything we need is literally conjured out of thin air. The Viziers would really love that because, at last, their models would work! Personally, I do not hold my breath waiting for Kurzweilian "Singularity." We'll be disappointed enough when Walmart fails to run on wind turbines. We're out of cheap oil, cheap and good ores, ocean fish, good timber, and lots of other things. All the stuff we erected to live our lives in - the stupendous armature of highways, strip malls, suburban houses, skyscraper condos, sewer systems, electric grids - is beyond our power to repair now. We can only patch it, and that can only work for so long before things go dark. (Can you sharpen a saw blade?)




und







Ja was nuetzt dieser "Optimismus"? Optimistisch ins Ende der Menschheit rasen sowie die Lemminge ueber die Klippe? Besonders pessimistisch sehe ich die vielen "Optimisten", die glauben, dass es ohne gravierende gesellschaftliche Aenderungenen und mit ein paar technologischen Erfindungen endlos weiter gehen kann. Wer wirklich so denkt, hat ein gravierendes intelektuelles Defizit, welches er durch seinen blinden Optimismus nicht mal mehr wahrnimmt. Der Pessimist erkennt hingegen Probleme und fordert eine nachhaltige Loesung, keine selbstbetruegerische Umgehung. Er tut es, weil er den groesseren Ueberlebenswillen hat und sich und seiner Nachwelt langfristige Perspektiven schaffen will. Das macht ihn letztendlich zum besseren Optimisten.




oder




Der Optimist sagt:

Dieses ist die Beste aller Welten.Der Pessimist befürchtet, dass das stimmt.


und
Der Pessimist sagt: "schlimmer kann es nicht werden."
Der Optimist sagt: "doch, doch."






und dann noch



die Techniker unter uns - und das ging mir vor wenigen Jahren ganz genau so - interessieren sich nicht für die absolut unsichtbaren Zwänge unseres Wirtschaftssystems. Diese werden selbst von den meisten Wirtschaftsfachleuten nicht gesehen, geschweige denn verstanden. Und die sogenannten Experten verstehen gleich gar nichts.

Ich finde es immer wieder niedlich, wenn die Leute von "Schrumpfen oder Verzichten zu Gunsten von Nachhaltigkeit" faseln und dabei geflissentlich übersehen, dass der Staat nun mal seine ständig steigenden Tributzahlungen braucht.

Diese Zwangsabgaben fallen dann irgendwie vom Himmel oder werden von den Robotern gezahlt.

Optimist ist der, der sich vornimmt, diese Krise zu überleben und sich entsprechend vorbereitet. Wer so tut, als würde nichts kommen, den kann ich nur als träumenden Idealisten bezeichnen.

Grüße Morpheus


Oscar Wilde: "The basis of optimism is sheer terror"


 

Freitag, 19. August 2011

Wie viele Menschen gibt es?
































Bevölkerung der Staaten der Europäischen Union (EU):

EU-Mitglieder
weitere europ. Staaten/Gebiete

Mitglied seit

Einwohner


Einwohner
1
1
7
1
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16
26
1
10
11
1
16
16
13
13
26
16
7
13
7
16
16
16
16
16
1
16
1957
1957
1973
1957
1986
2004
2007
1957
1981
1986
1957
2004
2004
1995
1995
2007
2004
1973
1995
1973
2004
2004
2004
2004
2004
1957
2004
1
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3
4
5
6
7
8
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10
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13
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15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
Deutschland
Frankreich
Britannien
Italien
Spanien
Polen
Rumänien
Niederlande
Griechenland
Portugal
Belgien
Tschechien
Ungarn
Schweden
Österreich
Bulgarien
Slowakei
Dänemark
Finnland
Irland
Litauen
Lettland
Slowenien
Estland
Zypern
Luxemburg
Malta
82.425.000
60.424.000
60.271.000
58.057.000
40.281.000
38.626.000
22.356.000
16.318.000
10.648.000
10.524.000
10.348.000
10.246.000
10.032.000
8.986.000
8.175.000
7.518.000
5.424.000
5.413.000
5.215.000
3.970.000
3.608.000
2.306.000
2.011.000
1.342.000
776.000
463.000
397.000

1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Russland
Türkei
Ukraine
Serb.+Monten.
Weißrussland
Schweiz
Norwegen
Kroatien
Moldavien
Bosn.-Herzegov.
Albanien
Mazedonien
Island
Andorra
Färöer
Liechtenstein
Monaco
San Marino
Vatikan
Insel Man, Kanalinseln
143.782.000
68.894.000
47.732.000
10.826.000
10.311.000
7.451.000
4.575.000
4.497.000
4.446.000
4.008.000
3.545.000
2.071.000
294.000
70.000
47.000
33.000
32.000
29.000
>0
>0



Summe 486.160.000

Summe 312.596.000

Deutsche Großstädte ab 200.000 Einwohner  

  Großstadt  Einwohner   davon weibl. Ausländer   1.schr. 
Erwähnung 
Stadtrecht 
1 Berlin 3 382 169 51 % 13 % B 1237 (Cölln)1370
2 Hamburg  1 715 392 51 % 16 % HH 1188
3 München 1 210 223 52 % 22 % M 1158
4 Köln 962 884 52 % 21 % K 30 v.Chr. 50
5 Frankfurt a. M. 646 550 51 % 32 % F 794 1147
6 Essen 595 243 52 % 10 % E 846 1244
7 Dortmund 588 994 51 % 13 % DO 885 1220
8 Stuttgart 583 875 51 % 23 % S 1160 1250
9 Düsseldorf 569 364 53 % 20 % D 1200 1288
10 Bremen 539 403 52 % 12 % HB 782 1186
11 Hannover 515 001 52 % 15 % H 1150 1202
12 Duisburg 514 915 51 % 16 % DU - 1129
13 Leipzig 493 208 52 % 5 % L 1015 1165
14 Nürnberg 488 400 52 % 18 % N 1050 1200
15 Dresden 477 807 52 % 3 % DD - 1216
16 Bochum 391 147 51 % 9 % B 1041 1321
17 Wuppertal 366 434 52 % 16 % W 1929 
18 Bielefeld 321 758 52 % 12 % BI 1015 1214
19 Mannheim 306 729 51 % 22 % MA 766 1607
20 Bonn 302 247 52 % 14 % BN 50 1286
21 Gelsenkirchen 278 695 52 % 14 % GE 1150 1875
22 Karlsruhe 278 558 51 % 12 % KA 1715
23 Wiesbaden 270 109 52 % 18 % WI - -
24 Münster 265 609 53 % 9 % MS -
25 Mönchengladbach 263 014 52 % 11 % MG 974 1365
26 Chemnitz 259 246 52 % 2 % C 1136 1216
27 Augsburg 254 982 52 % 18 % A 15 v.Chr. 1156
28 Halle (Saale) 247 736 52 % 3 % HAL 806 1280
29 Braunschweig 245 816 51 % 7 % BS - 1227
30 Aachen 244 386 50 % 14 % AC 765 
31 Krefeld 239 916 52 % 15 % KR 1105 1373
32 Kiel 232 612 52 %  9 % KI 1233 1242
33 Magdeburg 231 450 52 % 3 % MD - -
34 Oberhausen 222 151 52 % 11 % OB 1188 1874
35 Lübeck 213 399 53 % 8 % HL 1143 1143
36 Freiburg 205 102 53 % 11 % FR - -
37 Hagen 203 151 52 % 15 % HA 10.Jh 1746
38 Erfurt 200 564 52 % 2 % EF 706 755
39 Rostock 200 506 51 % 2 % HRO 1200 1218
40 Kassel 194 766 53 % 14 % KS - -
41 Saarbrücken 183 257 52 % 12 % SB 999 1321
Quelle: DeStatis
 

          

Donnerstag, 18. August 2011

Wie funktionieren effiziente Machtstrukturen: Die Politik lernt vom Primat der Wirtschaft!

> > Herrscht Ackermann?
> Nein. Herrschen tut Merkel.
Doch! Er ist der Souverän dessen, was er als Unternehmenslenker zu verantworten hat. Es kann keine Verantwortung geben ohne die Macht, die Herrschaft über das zu Verantwortende zu haben.

> Die Machtausübung erfolgt dann nicht mehr herrschaftlich-direkt, d.h.
> z.B. per Befehlskette, sondern auf unterschiedlichsten Wegen,
Was meinst Du mit "nicht mehr herrschaftlich-direkt"? Die Vorstellung von Machtausübung in Form einer klassischen, zentralistischen, hierarchischen Pyramide (von oben nach unten) ist doch ohnehin ein typisches Zerrbild von Menschen, die von sehr weit außerhalb auf moderne Machtstrukturen blicken.
Du wirst heute kaum noch einen erfolgreichen Konzern finden, dessen innere Struktur auf einer klassischen Machtpyramide beruht.
Das wurde schon längst in die Tonne getreten, weil man bereits vor geraumer Zeit erkannte, dass derartige Strukturen allenfalls noch für die Militärs taugen. Wer hingegen als Marktteilnehmer am Ende nur mit Effizienz sein dauerhaftes Überleben sicherstellen kann, der muss andere Wege beschreiten. Und das geht so:
In einer klassischen Hierarchie bilden sich als Substrukturen stets kleine "Königreiche" aus. Dies hängt damit zusammen, dass eine hohe Führungsposition üblicherweise auch mit einer sehr hoch angesetzten Verantwortung verknüpft ist. Aber niemand wird jemals bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, ohne zugleich die volle Souveränität über die zu verantwortenden Inhalte zu erhalten (vgl. dazu Kapitän eines Flugzeuges oder Schiffes; an Bord ist nur er der Chef - und nicht etwa die Fluggesellschaft oder der Reeder). Macht ist in diesem Zusammenhang also kein bösartiger Selbstzweck, sondern die schiere Notwendigkeit, um überhaupt Verantwortung effektiv wahrnehmen zu können. Aber das ist ein eigentlich geradezu universelles, allgemein gültiges Grundprinzip von Führung und Verantwortung.

(Vielleicht auch interessant in diesem Zusammenhang: Die angebliche Hörigkeit von Führungspersonen gegenüber deren Chefs ist eine Chimäre aus dem Reich des "kleinen Mannes". Das genaue Gegenteil ist der Fall: Wer in einer Führungsposition "seinen" Kuchen nicht auch unerbittlich gegenüber den übergeordneten Hierarchen massiv verteidigt ("das liegt immer noch in MEINER Verantwortung, Herr Doktor Müller!"), der wird es nicht lange als Führungskraft machen. Hörige Führungskräfte kann kein Unternehmen gebrauchen - wäre der sichere Untergang. Harter Wettbewerb erfordert Dissens-getriebene Reibungshitze, und keine Harmonie-dominierte Nestwärme, oder Selbstbereicherungsseilschaften. Einzige Ausnahme davon: Unternehmen, die keinerlei Wettbewerb unterliegen. Die dürfen sich natürlich jeden beliebigen Schwachfug erlauben, auch Führungsstrukturen wie zu Großvaters Zeiten. Wenn ich groß bin, will ich auf jeden Fall mal in so einem Unternehmen arbeiten!)

Wenn nun also in einer Hierarchie die lästigen kleinen Königreiche anfangen, durch deren Souveränität (=Macht!) die Interessen des Gesamtgebildes zu behindern oder gar zu gefährden, dann gibt es da eine clevere Gegenmaßnahme, ganz ohne unmittelbare (direkte) Machteinwirkung: Man installiert einfach parallel zu den kleinen Königen einen weiteren König, der auf einer Augenhöhe, aber mit konträr ausgerichteter Verantwortung losmarschiert. Das nennt man horizontale Führungsstrukturen. Wird auch gerne kombiniert mit nicht-hierarchischen(!) vertikalen Strukturen. Sieht dann auch echt klasse aus im Orgasmi... äh Organisations-Diagramm und schafft maximale Reibungshitze.
Und schon ist es vorbei mit der Kleinstaaterei im Konzern - der Zwang der kleinen Herrscher, sich auf ihrer ureigenen Hierarchieebene irgendwie einigen zu müssen, weil sonst kein Dissens mehr aufzulösen ist, und dabei auch auf keine Hilfe "von Oben" hoffen zu können, weil "Oben" lapidar sagt: "Ist eure Verantwortung, und damit euer Problem!" bringt dem Unternehmen einen gewaltigen Schub nach vorne! Und dies, man muss es betonen, ganz ohne das Eingreifen nach dem klassischen Prinzip "Ober sticht Unter"! Und noch viel besser: Es braucht gar keine übergeordnete Instanz, um Zusatz-Könige zu installieren. Man kann sie sich auch ganz einfach selbst verordnen (im Zuge der Kompetenz- und Verantwortungserweiterung, würde man im Fachjargon dazu sagen).

Siehe dazu auch die Meldungen aus dem Umfeld der EU-Hybris (fett von mir):
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13549639/Die-nationale-Idee-hat-keinen-Platz-mehr-in-Europa.html
Diese politischen Aufgaben lassen sich nicht zentralistisch durch EU-Institutionen anpacken. Vielmehr ist dafür eine Zusammenarbeit notwendig, die sich in Form von vertraglich vereinbarten horizontalen wie vertikalen Netzwerken organisieren lässt. Dabei bringen die einzelnen Partner ihre rechtliche und fachliche Kompetenz ein, ohne auf rechtliche Zuständigkeiten zu verzichten. Damit bleibt der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt und ein Regieren in Partnerschaft möglich.

Yo Baby! Kaum vergehen ein paar Jahrzehnte, schon lernt auch die große Politik vom Primat der Wirtschaft etwas dazu! Wenn die Einzel-Souveräne nicht wollen, wie sie sollen, dann kriegen die keinesfalls eine klare Ansage vor den Bug geknallt (wie sich dies die VT'ler gerne so phantasiereich ausmalen), sondern bekommen nur eine "horizontale, wie vertikale Struktur" verpasst.
Horizontal und vertikal - kommt mir doch irgendwie vertraut vor...-- 


 Viele Grüße
Lex



> Herrschen über
> Deutschland oder über alle Menschen oder sowas tut er allerdings nicht,
> zumindest nicht herrschen i.S.v. Befehl-Gehorsam-Prinzip.
Es gibt in einer Zivilgesellschaft kein Befehl-Gehorsam-Prinzip. Das bleibt auf den militärischen Bereich beschränkt. Somit gibt es auch keine Herrschaft im Sinne von Anordnungen oder Befehlen.

> Eine zwar notwendige aber noch nicht hinreichende Bedingung für
> Verantwortung. Denn wenn die Macht zwar vorliegt, aber außerhalb eines
> klaren Befehl/Gehorsam-Herrschaftsprinzips ausgeübt wird, dann kann es
> ebenfalls keine Verantwortung geben, weil außerhalb eines klaren
> Herrschaftsprinzips der Verantwortliche u.U. nicht mehr so leicht ausfindig
> zu machen ist.
Das habe ich leider nicht verstanden.
Ich kenne nur folgende Kriterien aus der Praxis:
1.) Verantwortung kann nur für etwas übernommen werden, was vom zu Verantwortenden auch kontrollierbar ist
2.) Wer sich in die Pflicht nehmen lässt, etwas zu verantworten, hat auch die Pflicht (aber auch das Recht!), die Entscheidungshoheit im Rahmen seiner Verantwortlichkeit ohne wenn und aber für sich einzufordern.
3.) Verantwortung muss klar und objektiv definiert und abgegrenzt sein; diffuse Graubereiche sind mit einer Verantwortlichkeit nicht vereinbar.

Zu Punkt 1.)
Ein Herr Grupp von Trigema sollte seinen Laden so weit überschauen können, dass er auch die Verantwortung an der Spitze realistisch übernehmen kann.
Ein Herr Ackermann hingegen hat das gleiche Problem, wie alle anderen Lenker von Großfirmen und Konzernen auch: Kontrolle ist größenbedingt nicht realistisch umsetzbar, womit eine propagierte Gesamtverantwortung in vielerlei Hinsicht zu einer reinen Show-Veranstaltung verkommt.
Punkte 2.) und 3.)
Haben sich in der Praxis als ausreichend valide erwiesen - auch für die Ackermänner dieser Welt!

Alles andere, was üblicherweise zum Thema Verantwortung gesagt und geschrieben wird, hat einen starken sozialen oder moralischen Bezug, ist somit nicht objektivierbar, und damit auch nicht zielführend zu diskutieren. Begriffe wie gesellschaftliche Verantwortung, moralische Verantwortung, etc. sind windelweich und nicht konkret greifbar. Gerne wird auch Verantwortung mit Schuld verwechselt.
Juristisch gibt es ohnehin nur die Rechenschaftspflicht im Bezug auf eine Aufgabendurchführung, eine Zielerreichung oder eine wahrgenommene Führungsaufgabe. Oder ist schon mal jemand wegen mangelnder moralischer Verantwortung belangt worden? Auf der Grundlage von welchem Gesetz?
Ein Streifzug durch's Netz zeigt deutlich, wie hilf- und planlos mit dem Begriff Verantwortung umgegangen wird.

> Verantwortung trägt Ackermann übrigens nicht gegenüber denjenigen, auf
> die er Macht ausübt, sondern ausschließlich gegenüber seinen
> Aktionären.
Unsinn! Diese Aussage gehört eindeutig in die Kategorie: "Gärender blubbernder Sumpf der dumpfen Volksmeinung, aus dem manchmal Blasen aufsteigen, die dann luftverpestend zerplatzen." ;-), wie Meph kürzlich so treffend schrieb.
Ansonsten guckst Du z.B. mal BGB § 618.

> Willst Du mich etwa foppen? Ich bitte Dich, tu dies nicht! Ich bin
> nämlich humorlos und leide wie ein Hund unter solcherart Foppungen.
Nein, ich will Dich weder foppen, noch wie einen Hund leiden lassen.
Du hast geschrieben: Sie [die Macht] wird jedoch auf etwas verschlungeneren Wegen ausgeübt.
Und das habe ich für mich übersetzt mit: Eine zentrale Machtstelle kann entweder direkt, oder indirekt Macht ausüben - bleibt aber eine zentrale Macht.
Die heute "gängige Machtpraxis" widerspricht aber dieser Vorstellung. Macht braucht Ziele, und zur effektiven Erreichung der Ziele bedarf es (Resourcen-bedingt) einer hohen Effizienz. Und da ich bei der klassischen Zentralsteuerungshypothese (das Lieblingskind der VT'ler) im Bezug auf Machtausübung keinerlei Vorzüge hinsichtlich der Effizienz/Effektivität erkennen kann, erscheint mir die Annahme, dass die Mächtigen der Welt bevorzugt zentralistisch (ob nun direkt oder indirekt) agieren sollen, schon allein deshalb als fragwürdig. Da müsste man ja schon mindestens ein Geschütz vom Kaliber der Ponerologie auffahren, um durch einen religiös-diabolischen Bezug, den sagenumwobenen Kampf von Gut gegen Böse als eigentliches Grundmotiv zu propagieren. Oder die berühmten Außerirdischen halt...

> Würde eher sagen: Diese politischen Aufgaben lassen sich bald überhaupt
> nicht mehr anpacken, weil die Politik einfach kaum noch Macht besitzt. Was
> zwischenstaatliche Verträge wert sind, wissen wir alle, jedenfalls nicht
> das Papier auf dem sie stehen; kein Wunder, ohne übergeordnete Instanz die
> über die Einhaltung der Verträge wacht; wie sollte das auch gehen, ist
> doch idiotisch. Und "ein Regieren in Partnerschaft" bleibt nicht möglich,
> sondern wird wie bisher fortschreitend verunmöglicht.
Also doch wieder eine übergeordnete Instanz, welche die Macht hat, jedem auf die Finger zu klopfen?
Macht es eigentlich Sinn, den Machtmissbrauch (bis hin zur VT) anzuprangern, aber sich gleichzeitig an der Vorstellung zu begeistern, dass mal eine übergeordnete Instanz her müsste, die endlich Schluss macht mit den diabolischen Machenschaften einer verkommenen Machtelite?

Und was würde dann wohl diese Instanz veranstalten, wenn sie sich plötzlich dessen bewusst werden würde, was es heisst, die stärkste Macht zu sein?

> Die große Politik wird sich beim Versuch, beim Primat der Wirtschaft
> irgendetwas abzukupfern, ganz übel lächerlich machen; klar.
Die Vorgehensweisen und Verhaltensmuster der Wirtschaft sind nichts weiter als die logische Konsequenz aus der Notwendigkeit, unter debitistischen Randbedingungen "den Laden am Laufen zu halten".
Für die Politik gilt die gleiche Problematik - warum also nicht
Anleihen dort nehmen, wo eine Methode (bislang) gut funktioniert?

> Danke übrigens für Deine ausführlichen Erläuterungen zu
> konzerninternen Machtstrukturen, die ich einfach mal so mitnehme.
Gern geschehen. Ist aber eigentlich nichts Konzern- oder Industrie-spezifisches. Hat mittlerweile jeder drittklasssige Unternehmensberater als "Lösung" im Rahmen von Umstrukturierungen in der Tasche - auch für Nichtunternehmen, wie z.B. staatliche Institutionen.;-)




Quelle: Lex Mercatoria